Kein Gesichtsverschleierungsverbot in Schleswig-Holstein
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- Erstellungsdatum 6. Februar 2020
- Zuletzt aktualisiert 15. Mai 2020
Die Landtagsfraktion der Grünen in Schleswig-Holstein hat sich einstimmig gegen ein gesetzliches Vollverschleierungsverbot an Universitäten entschieden und damit das Gesetz verhindert.
Nach einjähriger Beratung, die ihren Anfang mit der Kieler Studentin Katharina K. genommen hatte, gibt die Fraktion im Landtag-Schleswig Holstein der Religionsfreiheit den Vortritt. Die Kieler Studentin war im vergangenen Jahr aufgrund ihres Gesichtsschleiers an der Universität aufgefallen und aus einzelnen Veranstaltungen verwiesen worden. Daraufhin war ein Gesetzesentwurf in den Landtag eingebracht worden, der das Tragen von Gesichtsverhüllungen insgesamt verbieten sollte. Im Rahmen einer mündlichen und schriftlichen Anhörung wurden zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen um ihre Position gebeten.
Wir beglückwünschen die Grünenfraktion im Landtag Schleswig-Holstein zu ihrer Entscheidung, die wir nicht als „Pro-Niqab-Entscheidung“ betrachten, sondern für die gleichberechtigte Inanspruchnahme von Grundrechten und für eine vielfältige, tolerante und egalitäre Gesellschaft.
Wir freuen uns ebenfalls darüber, dass wir in diesem Entscheidungsfindungsprozess mitwirken durften und unsere Argumente, die wir sowohl in der schriftlichen als auch mündlichen Anhörung vorgetragen haben, gehört wurden.
Als Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. haben wir uns in dieser Anhörung deutlich gegen ein gesetzliches Verbot positioniert: Die Religionsfreiheit der Studentinnen muss so lange Vorrang haben, wie keine anderen Grundrechte oder Verfassungsgüter betroffen sind. Die Lehrfreiheit der Dozenten und Dozentinnen war dabei nicht betroffen, da die Anwesenheit einer niqabtragenden Studentin der freien Ausgestaltung von Lehrveranstaltungen keinen Abbruch tut. In konkreten Fällen der Eigengefährdung, wie Laborübungen oder der notwendigen Identifikation vor Prüfungen, müssen Ausnahmen natürlich möglich sein. Es ist außerdem verfehlt, den Verbotsgrund in der Bedeutung des Gesichtsschleiers als Symbol der Unterdrückung und Entmenschlichung der Frau zu sehen. Dies nimmt von vornherein an, dass ein Gesichtsschleier nur aus Zwang getragen werden kann und lässt völlig außer Betracht, dass muslimische Frauen dies aus eigener Entscheidung und Überzeugung tun können. So auch die benannte Kieler Studentin.
Auch das individuelle Verfahren der Studentin Katharina K. gegen die Universität hat sich zwischenzeitlich weiterentwickelt: Für die Kieler Studentin hatte die ursprüngliche Verbotsrichtlinie zunächst zur Folge, dass sie aus weiteren Vorlesungen ausgeschlossen und zu zwei Prüfungen nicht zugelassen wurde. Diese zwangsweise nicht-absolvierten Prüfungen wurden als zwei Fehlversuche gewertet. Die Betroffene erhob dagegen Widerspruch, verlangte die Aufhebung aller vermerkten Fehlversuche und eine Zusicherung des Prüfungsamtes, ohne Furcht vor Diskriminierung und einem erneuten Vermerk eines Fehlversuches, an zukünftigen Prüfungen teilnehmen zu können. Sie erhielt indes hierauf zunächst lediglich eine entsprechende informelle Zusage, gewann im weiteren Verlauf jedoch noch das Widerspruchsverfahren gegen die Universität.
Die Kieler Studentin äußert sich ebenfalls zu den jüngsten Entwicklungen: „Auch ich als Betroffene bin selbstverständlicher Weise froh über den Erfolg unserseits und über das nicht zustande gekommene Verbot. Ich hoffe, dass wir in Zukunft nicht mehr über einzelne Verbote streiten müssen, sondern ein offener Diskurs auf Augenhöhe stattfinden kann und Muslime und Musliminnen sich nicht für das Ausleben ihrer Religion rechtfertigen müssen.“