Pressemitteilung -Dürfen erkennbar religiöse Menschen den Staat im Gericht repräsentieren?
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- Erstellungsdatum 27. Februar 2020
- Zuletzt aktualisiert 13. Oktober 2022
Dürfen erkennbar religiöse Menschen den Staat im Gericht repräsentieren? Das Bundesverfassungsgericht lässt die Entscheidung offen.
27.02.2020 Karlsruhe. „Das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst ist für sich genommen nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richter zu begründen“ erklärt das Bundesverfassungsgericht.
Im verhandelten Fall einer kopftuchtragenden Rechtsreferendarin kommt „keiner der kollidierenden Rechtspositionen ein derart überwiegendes Gewicht zu, das dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben.“ Damit ist es den Landesregierungen überlassen, ob sie ein Verbot für Rechtsreferendarinnen erlassen oder nicht.
Das Bundesverfassungsgericht gab heute seine Entscheidung zur Klage einer kopftuchtragenden Rechtsreferendarin bekannt (1). Demnach sieht die Senatsmehrheit es als verfassungsrechtlich zulässig an, wenn sie ihr Kopftuch ablegen muss, während sie richterliche oder staatsanwaltliche Aufgaben im Zuge ihrer Ausbildung übernimmt. Das Minderheitenvotum des Richters Maidowski widerspricht dem, da mildere Mittel verfügbar sind. Das, was auf den ersten Blick so unentschieden daherkommt und nur kopftuchtragende Referendarinnen während eines kleinen Teils ihrer Ausbildung zu treffen scheint, hat tatsächlich sehr viel mehr Sprengkraft. Eine Sprengkraft, die die Spaltung der Gesellschaft beschleunigen wird – diesmal scheinbar mit verfassungsrechtlichem Segen. Dazu unten mehr.
Wir als Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. hatten bereits im Vorfeld dieser Entscheidung die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben und haben darin unsere Bedenken formuliert, die sich nun vertieft haben: Die Vision einer vielfältigen Richterschaft als Chance wurde zunichtegemacht, ausgebildete und hochqualifizierte junge Frauen werden ausgegrenzt und die Sichtbarkeit als Muslimin als ‚außerhalb der Norm‘ liegend definiert, die als Neutralität verstanden wird.
Es ist unverkennbar, dass das Gericht höchst differenziert die durchaus komplexe Interessenlage erfasst, denn es erklärt in seinem 8. Leitsatz: „Angesichts der konkreten Ausgestaltung des verfahrensgegenständlichen Verbots kommt keiner der kollidierenden Rechtspositionen vorliegend ein derart überwiegendes Gewicht zu, das verfassungsrechtlich dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren.“
Es ist eine Art Unentschieden, bei dem lediglich der vom hessischen Gericht in einer bestimmten Art ausgefüllte gesetzgeberische Einschätzungsspielraum das Zünglein an der Waage war: Der Gesetzgeber könnte nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts genauso die Zulässigkeit religiöser Symbole im Justizdienst gesetzlich erklären; auch das müsste dann respektiert werden. Einerseits ist diese Differenziertheit und die Betonung der Gleichwertigkeit der widerstreitenden Interessen zu begrüßen. Andererseits vermissen wir eine klare Positionierung des Gerichts, die ihm mit guten Gründen möglich gewesen wäre.
Gerade diese klare Positionierung wäre äußerst wichtig gewesen, denn die jetzt in der Abstimmung befindlichen Gesetzentwürfe verschiedener Bundesländer zum Umgang mit religiösen Zeichen in der Justiz formulieren strikte Verbote. Diese gehen zudem weit über den Kreis der RechtsreferendarInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen hinaus und beschränken sich ausdrücklich nicht auf vergleichsweise kurze Zeiträume, wie sie dem gerade verfassungsrechtlich entschiedenen Fall zugrunde lagen. Die geplanten Gesetze erklären vielmehr religiöse Symbole im gesamten Justizdienst für jegliches Personal mit Drittkontakt für unzulässig.
Es ist daher absehbar, dass es in Zukunft zahlreiche Rechtsreferendarinnen geben wird, die sich mit Landesgesetzen konfrontiert sehen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig sind. Das Gericht lässt eben diese jungen Frauen im Stich, indem es sie vor die Wahl stellt, diese Verbote während ihrer Ausbildungszeit hinzunehmen oder den Gang durch die Instanzen auf sich zu nehmen.
Der bisher geltende Grundsatz, nach dem Staat und Bürger davon ausgehen, dass jede Person, die die Qualifikation zu den höchsten Justizämtern mitbringt, auch fähig ist, die Kriterien der Amtsführung zu erfüllen, d.h. unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, gilt mit der heutigen Entscheidung für Menschen mit religiös konnotierter Bekleidung nur noch so lange, bis ein Gesetzgeber sich entscheidet, ein aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts nicht notwendiges Verbot zu erlassen. Tritt ein solches in Kraft, haben die Betroffenen nicht einmal mehr die Möglichkeit, durch ihre fachlich qualifizierte Arbeit zu überzeugen und damit die Stereotype, auf denen die möglicherweise vorhandenen Bedenken fußen, zu überwinden. Gerade dieser Prozess ist jedoch für eine gleichberechtigte Partizipation aller Mitglieder einer vielfältigen Gesellschaft und damit zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Friedens notwendig.
Aus unserer Sicht ist diese Unentschiedenheit des Gerichts ein fatales Signal, sowohl an die Mehrheitsgesellschaft, als auch an die hier lebenden Minderheiten.
Faktisch wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu beitragen, dass Menschen mit Kopftuch oder Kippa nicht mehr die Möglichkeit haben, Teil der Justiz zu werden. Damit sind bestimmte Bevölkerungsgruppen auch von der Entwicklung der Rechtsprechung – einer nach einem Beschluss des BAG originäre Aufgabe eines Richters (2) – ausgeschlossen. Diese Ausgrenzung schwächt die staatliche Neutralität, statt sie zu stärken.
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1 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Januar 2020, - 2 BvR 1333/17 - http://www.bverfg.de/e/rs20200114_2bvr133317.html
2 Bundesarbeitsgericht, Dritter Senat, Beschluss vom 20. August 2019 - 3 AZN 530/19 (A) -, Rn 14. https://juris.bundesarbeitsgericht.de/zweitesformat/bag/2019/2019-10-09/3_AZN_530-19__A_.pdf