Tag gegen Gewalt an Frauen
Gewalt an Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. 2019, also bevor die Corona-Pandemie zu einer erhöhten Einschränkung der Bewegungsfreiheit und damit oft die Beschränkung auf die eigene Wohnung und damit zu erhöhtem Stress im Zusammenleben führte, gab es in Deutschland mehr als 141.000 Opfer von häuslicher Gewalt, mehr als 80% davon waren Frauen. Alle 45 Minuten wird eine Frau von ihrem Partner verletzt, alle drei Tage endet die Begegnung einer Frau mit ihrem Partner/Ex-Partner tödlich.
Gewalt an Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber einige Frauen sind ungeschützter als andere. Das trifft insbesondere auf migrantische Frauen zu, z.B. solche mit einem eheabhängigen Aufenthaltstitel oder einer Wohnsitzregelung, die sie zwingt, in der Nähe des Täters zu bleiben. Das nicht zu ändern, ist eine bewusste politische Entscheidung: Die seit 2011 von Deutschland unterschriebenen Istanbul-Konventionen dienen dem Schutz der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Artikel 59 der besonders Frauen mit ungesichertem Aufenthalt schützen soll, wird in Deutschland aufgrund von Vorbehalten aber immer noch nicht umgesetzt (Nähere Informationen dazu hier). Dazu kommt, dass die Thematisierung von Gewalt an migrantischen/migrantisch gelesenen Frauen auf gesellschaftlicher Ebene häufig nicht lösungsorientiert diskutiert, sondern als Legitimation für rassistische Zuschreibungen und der Stigmatisierung der vermeintlich „anderen“ genutzt wird. Das verhindert eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema innerhalb von migrantisch gelesenen Communities. Frauen, die selbst nicht von häuslicher Gewalt, jedoch von antimuslimisch motivierter Diskriminierung betroffen sind, tendieren manchmal zur Relativierung des Problems und zur Zurückhaltung bei der Unterstützung von Betroffenen, weil sie befürchten, als Teil der migrantischen „Tätergruppe“ rechten Aggressionen ausgesetzt zu sein, sobald es zu einer gesellschaftlichen Thematisierung kommt. Das schürt auch zusätzliche Ängste bei den Betroffenen. „Betroffene Frauen wenden sich an uns und nicht an die Polizei, weil sie wissen, dass wir kultursensibel reagieren werden. Sie fühlen sich besser verstanden. Ängste und Scham sind groß, da ist es wichtig, eine Vertrauensbasis zu haben,“ berichtet Gülhanim Karaduman-Cerkes, Vorstandsvorsitzende des Begegnungs- und Bildungszentrum für Frauen & Familien e.V. (BBF) in Berlin und AmF Mitglied. Darauf, dass die Angebote des BBF von Frauen, unabhängig von ihrer Religion, Ethnie oder Herkunft, genutzt werden, ist sie besonders stolz. „Wir betreuen immer wieder Frauen, die seit Jahren von ihren Partnern geschlagen und vergewaltigt wurden. Wenn eine Frau dann ihren Mut zusammengenommen hat und um Hilfe bittet, ist es wichtig, dass sie sie auch vorbehaltlos bekommt. Sonst dauert es Wochen oder Monate, bis sie die Kraft hat es wieder zu versuchen – Zeit, die sie vielleicht nicht hat. Hilfe darf nicht daran scheitern, dass z.B. eine muttersprachliche Beratung nur einmal die Woche angeboten wird.“ Von der Politik wünscht sich Gülhanim neben gleichem Rechtschutz vor allem den Ausbau von kultursensiblen und mehrsprachigen Angeboten. Hier müssen sich nicht nur bereits bestehende Angebote in nicht-migrantischer Trägerschaft interkulturell öffnen, sondern auch bestehende Angebote von Migrant*innen-Selbstorganisationen im Rahmen von Projekten professionalisiert und finanziell unterstützt werden. Das BBF selbst arbeitet seit seiner Gründung vor einem Jahr komplett ehrenamtlich, der Aufbau von dringend benötigten Schutzräumen soll über eine Projektförderung finanziert werden. „Das ist ein Arbeitsbereich, in dem Organisationen mit verschiedenen Perspektiven und Schwerpunkten zusammenarbeiten müssen – der Bedarf ist leider riesig.“